Wie ich zu dem Thema Mobbing kam:
Geboren bin ich in der Nachkriegszeit im Raum Stuttgart, habe zwei Berufe gelernt und dann in einem ganz anderen gearbeitet - ich war Technische Dokumentatorin und Redakteurin. Als ich 45 Jahre alt war, mußte die Firma, für die ich arbeitete, aufgrund der Rezession schliessen und ich war arbeitslos. Nach 9 Monaten Arbeitslosigkeit fand ich trotz meines "Alters" wieder Arbeit - mein neuer Chef wollte eine Mitarbeiterin, die nicht wegen Schwangerschaft ausfällt.
Und nun durfte ich Mobbing am eigenen Leib kennen lernen. Die Tatsache, daß ich die Neue war, die Älteste, branchenfremd und nicht auf den Mund gefallen, brachte mir nicht nur Sympathien ein. Mir wurde nachgesagt, ich hätte an Teilen meiner Arbeit kein Interesse, wäre frech und unhöflich, langsam, schlampig und wohl schon ziemlich verkalkt.
Was tun? Ich brauchte die Arbeit, um zu leben, die Situation am Arbeitsmarkt war angespannt, an Wechsel nicht zu denken. Also musste ich einen Weg finden, mit der ungewohnten Situation klarzukommen. Der Begriff "Mobbing" war relativ neu, aber ich meinte, genau das gerade erleiden zu müssen.
Ich suchte über die örtliche Presse Kontakt zu anderen Menschen, die in einer ähnlichen Situation waren und gründete eine Selbsthilfegruppe. Diese besteht seit 1993 und das Problem Mobbing ist so akut wie nie.
In der Arbeit mit Selbsthilfegruppen hat sich für mich ein Weg abgezeichnet, wie jede und jeder mit Mobbing umgehen kann, ohne Kurzschlußreaktionen und mit der Möglichkeit, traumatische Erlebnisse in einer Gruppe aufzuarbeiten. Manchmal ist zwar auch die Einzelhilfe sinnvoll, aber sie sollte nicht zur Dauertherapie werden. Therapie bräuchten eigentlich die Mobber, aber das müssen diese selbst merken. Wir Geschädigten waren ursprünglich gesund, uns ist von außen Schaden zugefügt worden, im Inneren sind wir nicht "weniger normal" als der Durchschnitt der Menschheit. Dieses Gefühl der Normalität, einer tiefen "Selbst"- Sicherheit, gilt es wieder zu finden und zu aktivieren.
Ich habe die tiefe Überzeugung,
daß jeder Mensch über alle Fähigkeiten verfügt, die sein Leben erfordert. Das gibt mir eine große Sicherheit, denn ich bin nicht mehr abhängig von irgendwelchen "Übermenschen", Vorbildern, Rechtsgelehrten, Sozialgurus.
Ich kann selbst für mich sorgen
und wenn ich dazu Beistand brauche, kann ich diesen für eine gewisse Zeit auch wählen, um mich zu unterstützen. Niemals würde ich aber mein Schicksal jemandem anvertrauen so nach dem Motto: Sie werden schon das Beste für mich tun.
Kein anderer Mensch kann wissen, was für mich das Beste ist.
Das muß ich selbst immer wieder neu für mich definieren, wenn das andere täten, wäre ich sicher bald unzufrieden.
Mein Leben ist durch die vielen Menschen, die ich auf ihrem Weg begleiten durfte, reich und interessant geworden, und so paradox das klingt, heute bin ich dem Schicksal dankbar dafür, daß ich mich mit Mobbing so gut auskenne und dadurch anderen Stütze in schwieriger Zeit sein kann.
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